Im Ausgleich liegt die Kraft

Viele Verhandlerinnen und Verhandler sehen sich entweder als „kompetitiv“ oder als „kooperativ“. In der realen Verhandlungswelt ist aber ein gesunder Mix aus beiden Varianten entscheidend, um konstruktiv zu verhandeln und nachhaltige Erfolge zu erzielen. In diesem Blogartikel lesen Sie, wie es Ihnen gelingt, das beste beider Strategien für sich zu nutzen.

Menschen mögen Extreme

Menschen tendieren dazu, in klaren Kategorien zu denken: Gut oder Böse, Erfolg oder Misserfolg, alles oder nichts. Dieses Denken in extremen ist evolutionär bedingt, in Gefahrensituationen haben Menschen nur selten die Zeit für differenzierte Betrachtungen, sondern müssen schnelle Entscheidungen („Kampf oder Flucht“) treffen. Deshalb mögen Menschen klare Kategorien.

Das gilt auch für die Welt der Verhandlungen. Der „weiche“ kooperative Verhandlungsstil wird dem „harten“ kompetitiven Stil entgegengesetzt. Sinnbildlich für den kooperativen Stil ist das seit den 1980er Jahren populär gewordene Harvard-Konzept. Hierbei stehen die Schaffung von Win-Win-Situationen für alle Verhandlungsparteien und Werten im Vordergrund. Der kooperative Stil wird ebenfalls als integrativer Verhandlungsansatz bezeichnet. Es geht hier insbesondere darum, durch offenen Informationsaustausch und Kommunikation auf Augenhöhe und möglichst wertsteigernd zu verhandeln. Dieser Stil ist in den meisten Verhandlungssituationen wesentlich erfolgversprechender als ein rein kompetitiver Stil, der auch als distributiver Verhandlungsstil bekannt ist.

Ob ein bestimmter Stil erfolgreich ist, kommt aber auch auf den Verhandlungsgegenstand an. So kann es etwa beim Kauf eines Gebrauchtwagens zielführender sein, rein auf rationale und distributive Strategien zu setzen. Die Beziehungen und Interessen des Gegenübers stehen hier weniger im Vordergrund, da die Interaktion meist nach der einmaligen Transaktion beendet ist.

Man trifft sich immer zwei Mal

Die wenigstens geschäftlichen Beziehungen enden aber mit einer einmaligen Verhandlung. In aller Regel streben alle an den Verhandlungen beteiligten Personen langfristige und nachhaltige Geschäftsbeziehungen an. Statt eines kompetitiven Zugangs, der einen klaren Gewinner und somit auch Verlierer im Rahmen einer Verhandlung erwartet, ist es meist auf lange Sicht gesehen zielführender auf integrative Verhandlungsstrategien zu setzen. Integrative Verhandlungsstrategien sollen die Menge der verfügbaren Ressourcen und damit auch den Mehrwert für jeden der Verhandlungspartner maximieren. Werte sollen geschaffen werden, der Kuchen soll vergrößert werden. Aber auch ein riesiger Kuchen kann noch sehr ungleich aufgeteilt werden.

Hier wenden Verhandlerinnen und Verhandler zwar distributive Strategien an, sollten aber im Idealfall in dieser Verhandlungsphase nicht alle guten Manieren über Bord werfen, sondern auch bei der Verteilung der Kuchenstücke die Interessen der Gegenseite im Hinterkopf behalten. In aller Regel trifft man sich privat- wie in der Geschäftswelt immer mindestens zweimal.

Zuerst Werte schaffen, dann verteilen

Der erzeugte Mehrwert soll also nach der Vergrößerung anschließend wieder in einzelne Teile zerteilt werden. Somit bedeutet es, dass integratives Verhandeln neben dem wertschaffenden und integrativen Aspekt auch immer wieder einen verteilenden und somit distributiven Part mit sich zieht. Meist wird dieser Verteilungsaspekt in der Optimierungsphase einer Verhandlung ausverhandelt. Er steht also zeitlich gesehen eher am Ende des Verhandlungsprozesses.

Die Verhandlungspartnerinnen und Verhandlungspartner beginnen Vorschläge zu unterbreiten, die ihren eigenen Verhandlungsinteressen entsprechen, haben idealerweise aber immer die Interessen der Gegenseite im Hinterkopf, die durch die integrativen Ansätze zum Vorschein gekommen sind. Ein Ausgleich von Informationen und Wissen über die Gegenseite steht in Kontrast zu dem Willen, das Verhandlungsergebnis im eigenen Sinne zu beeinflussen. Von dem Ergebnis der abwechselnden integrativen und distributiven Elemente profitieren beide Parteien in der Regel gleichermaßen.

Wie gelingt es nun den Kuchen zu vergrößern?

Um den gemeinsamen Nutzen maximieren zu können und Werte zu schaffen, benötigt es vor allem eines: umfassende und offene Kommunikation mit dem Gegenüber. Es muss gemeinsam erarbeitet werden, inwiefern sich die Interessen der beiden Parteien unterscheiden und welche Handlungsalternativen es gibt, um in festgefahrenen Situationen zu Lösungen zu kommen. Flexibilität, Kooperation und offener Informationsaustausch führen zu Einsicht in die Prioritäten des Gegenübers. Mit diesen im Hinterkopf können gemeinsame Interessen und Win-Win-Situationen erarbeitet werden. Bei der Verteilung dieser neu geschaffenen Werte dürfen aber die eigenen Unternehmensziele nicht aus den Augen verloren werden.

Hier ist es entscheidend, rational zu agieren, aber dennoch niemals zur Gänze die Interessen der Gegenseite außer Acht zu lassen. Der gesunde Ausgleich zwischen integrativen und distributiven Elementen führt zu nachhaltigen Verhandlungserfolgen und langfristigen und guten Beziehungen zu ihren Verhandlungspartnerinnen und Partnern.

Autor: Bernd Schnabl