Was Du nicht willst das man Dir tut…

Wer bewusst Machtunterschiede im Rahmen von Verhandlungen ausnutzt, schadet nicht nur dem Verhandlungspartner, sondern auch den eigenen Interessen. Kurzfristige Erfolge stehen langfristigen, häufig gravierenderen Schäden der Geschäftsbeziehung gegenüber.

Maximaler Preis um jeden Preis?

Stellen Sie sich vor, Sie verkaufen Ihr Haus. Sie verkaufen es an jemanden, den Sie nicht kennen und den Sie auch nie wieder sehen werden. Welches Ziel wird Ihrer Ansicht primär im Fokus stehen? Die meisten Menschen kommen in Zuge dieser Frage sehr schnell zu einer eindeutigen Antwort nämlich „Ich versuche den maximalen Preis durchzusetzen!“. Würden Sie den Unbekannten aus eigenem Antrieb heraus über alle möglichen Mängel informieren und damit riskieren einen niedrigeren Preis für das Haus zu bekommen? Wahrscheinlich nicht.

Stellen Sie sich nun vor, der zukünftige Käufer oder Käuferin wird auch zeitgleich Ihr Nachbar oder Ihre Nachbarin. Bereits am nächsten Morgen nach dem Kauf kann er Sie über den Gartenzaun über alle gefundenen offensichtlichen Mängel informieren. Jeden weiteren Morgen würden Sie mit einem mulmigen Gefühl aufwachen und Angst davor haben, dass weitere schwere Mängel zum Vorschein treten. Wäre immer noch ausschließlich der Preis der alleinige Erfolgsfaktor, an dem Sie Ihren Verhandlungserfolg messen?

Die meisten Menschen würden laut seriösen Studien deutlich offener potenzielle Mängel ansprechen und damit natürlich auch eine Reduktion des Verkaufspreises riskieren. Der Unterschied zwischen den beiden erwähnten Situationen liegt darin, dass wir im Falle des Verkaufs an den späteren Nachbarn oder die spätere Nachbarin unmittelbar mit den Konsequenzen unseres Verhaltens konfrontiert werden. Es wird uns vor Augen geführt, dass unser Verhalten in einer spezifischen Situation einem anderen Menschen geschadet hat. Dieser auf Ihr Verhalten zurückführbare Schaden bedeutet gleichzeitig eine Belastung der sozialen Beziehung mit ihrem Nachbarn oder ihrer Nachbarin, mit der sie ab nun täglich konfrontiert sind. Das wollen Menschen in der Regel um jeden Preis vermeiden.

Das Beziehungselement von Verhandlungen

In der Geschäftswelt ist es eher selten, dass einander völlig unbekannte Verhandlungspartner und Verhandlungspartnerinnen miteinander in Beziehung treten, um über einen bestimmten Sachverhalt zu verhandeln. Verhandlungen sind keine einmaligen Ereignisse, bei denen nach dem Abschluss alle Partner und Partnerinnen ihre eigenen Wege gehen. Oft sind erstmalige Verhandlungen der Ausgangspunkt für langjährige geschäftliche Beziehungen oder es wird bereits mit bekannten Gesichtern verhandelt. Verhandlungen beinhalten immerzu auch ein Beziehungselement, das auf vielen verschiedenen Ebenen zum Tragen kommt.

Dieses Element ist nicht immer leicht zu quantifizieren und wird dadurch auch nicht selten gänzlich übersehen. Der Wunsch nach einer guten und als fair empfundenen Verhandlungssituation kann grundsätzlich jeder Verhandlerin und jedem Verhandler unterstellt werden. Wir als Menschen, die ja bekanntlich soziale Wesen sind, wollen gute und produktive Beziehungen miteinander unterhalten. Das gilt für private soziale Kontakte genauso wie für die Interaktion in einer Geschäftsbeziehung.

Auf das eigene Bauchgefühl hören

Noch einmal zurück zu unserem Beispiel mit dem Häuserkauf. Eine gute Richtschnur ist hier die Überlegung, wie Sie sich selbst in Anbetracht der umgekehrten Situation verhalten würden. Sie kaufen das Haus und ziehen bereits am nächsten Tag neben dem Verkäufer ein. Sie leben dort einige Monate und bemerken erst, als es zu spät ist, dass die Rohre erneuert werden müssen und entdecken den Schimmel unter der Tapete im Badezimmer.

Auch im Rahmen von Verhandlungen kann es Jahre dauern, bis die massiven Asymmetrien zutage kommen, die im Rahmen einer Verhandlung mit ungleich verteilten Informationen ausgehandelt wurden. Trotz der Zeit, die vergeht, sind die destruktiven Auswirkungen auf Geschäft und Beziehungen klar erkennbar. Ihr Nachbar/Ihre Nachbarin wird nicht mehr mit Ihnen Geschäfte machen wollen und vermutlich sogar seinen Anwalt kontaktieren und die Möglichkeit einer Klage gegen Sie in Erwägung ziehen. Ebenso wird der übervorteilte Verhandlungspartner oder die übervorteilte Verhandlungspartnerin sich hüten, in Zukunft mit Ihnen auf Augenhöhe zu verhandeln. Im schlimmsten Fall wird er sich dafür entscheiden überhaupt nicht mehr mit Ihnen in Beziehung zu treten und zu verhandeln.

Keine Vereinbarung ist zu 100 % fair und absolut ausgeglichen. In der realen Welt nehmen häufig Faktoren Einfluss auf eine Verhandlung, die nur schwer zu messen und festzustellen sind. Aber ein ungefähres Bauchgefühl, was recht und richtig ist, haben die meisten von uns. Als Verhandler und Verhandlerin, die an langfristigen Erfolgen orientiert sind, ist man gut beraten, dieses Gefühl auch niemals zu verlieren.

Autor: Bernd Schnabl