Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht

Lügen haben oft kurze Beine, das gilt insbesondere im Bereich der geschäftlichen Verhandlungen. Welche Nachteile und Probleme die Anwendung von Lügen und Täuschungsmanövern in Verhandlungen mit sich bringt, lesen Sie in unserem neuen Blogartikel.

Lügen als evolutionärer Nachteil

Die Lüge ist eine menschliche Grundkonstante und tritt täglich bis zu 200 Mal auf, oft unbewusst. Anthropologisch gesehen ist Ehrlichkeit jedoch vorteilhafter. Das zeigte bereits Sissela Boks Buch "Lying: Moral Choice in Public and Private Life" aus dem Jahr 1978: Laut ihr wird in den meisten Gesellschaften die Wahrheit geschätzt, während Lügen sanktioniert werden. Aber das hat nicht bloß eine ethische Komponente: Eine Welt, in der Lügen vorherrschen, käme ohne grundlegendes Vertrauen aus – das allerdings einen Schlüsselfaktor für das Funktionieren einer Gesellschaft darstellt.


Erst Vertrauen ermöglicht die Bewältigung alltäglicher Aufgaben und ist unerlässlich für Verträge, Handel, Bildung und Beziehungen. Ohne dieses ”Grundvertrauen” wäre der Austausch zuverlässiger Informationen unmöglich, was die Entwicklung einer Kultur stark behindern würde. Aber auch in ganz alltäglichen Situationen ist dieses Grundvertrauen vorteilhaft. Schließlich vertrauen wir zum Beispiel im Straßenverkehr auch darauf, dass wir den anderen Verkehrsteilnehmer:innen grundsätzlich trauen können und nicht vom Gegenverkehr gerammt werden.


Aber in Gesellschaften, die auf Vertrauen basieren, können sich einzelne Personen durch Lügen, Täuschungen oder das Verschweigen relevanter Sachverhalte einen unfairen Vorteil erschleichen. Das gilt natürlich auch für den Bereich der wirtschaftlichen Verhandlungen.

Wer lügt, wirkt inkonsistent

Lügen können in Verhandlungen einen erheblichen Vorteil bringen. Die Lüge führt zu Informationsasymmetrie und verwässert dadurch die Fähigkeit, optimale Verhandlungslösungen zu finden. Sie verschiebt die Vorteile, die sonst beide Seiten ausverhandeln, auf die Seite des Lügenden. Aber Lügen haben in Verhandlungen oft kurze Beine. Das liegt insbesondere daran, dass Menschen inkonsistent wirken, wenn sie nicht voll und ganz hinter dem Gesagten stehen. Und das ist beim Lügen schlicht unmöglich.


Das konnten auch zwei berühmte Studien vom US-amerikanischen Psychologen Albert Mehrabian nachweisen. Seine Studien, oft zitiert in der Form der Mehrabian-Regel, behaupten, dass in der Kommunikation 7 % der Information durch Worte, 38 % durch Tonfall und 55 % durch Körpersprache vermittelt werden. Personen, die Lügen oder etwas vortäuschen, das nicht ihrer Haltung entspricht, wirken auf ihr Gegenüber inkonsistent. Auch wenn der Inhalt glaubwürdig ist und Sinn macht, werden sie oft (nicht immer!) aufgrund einer unpassenden Körpersprache oder Stimmlage entlarvt. Ein geringeres Maß an Vertrauen ist die Folge, die wiederum für schlechtere Verhandlungsergebnisse für beide Seiten sorgt.

Wer in Verhandlungen lügt, zahlt oft einen hohen Preis

Neben der inkonsistenten Wirkung auf die Verhandlungspartner:innen sprechen noch ein weitere Gründe gegen die Lüge in Verhandlungssituationen: Zum einen ist Lügen mentale Schwerstarbeit. Der Lügner/die Lügnerin muss dabei auf unzählige Details achten: der Inhalt muss plausibel sein, auf Nachfragen muss schnell, authentisch und spontan reagiert werden. Die falschen Aussagen müssen darüber hinaus noch erinnert werden, wie wir von Mehrabian wissen, muss jetzt auch noch Stimmlage und Körpersprache in Einklang mit den falschen Aussagen gebracht werden. Die kognitive Belastung ist so hoch, dass kaum mehr Kapazitäten übrig bleiben, um dem Lauf der Verhandlung zu folgen und auf neue Erkenntnisse zu reagieren. Das schadet ebenfalls der Qualität der Verhandlungsergebnisse.

Darüber hinaus haben Lügen, die erkannt werden, einen nachhaltigen negativen Einfluss auf momentane und künftige Verhandlungsergebnisse: In der unmittelbaren Verhandlungssituation lösen Lügen und andere Formen der Täuschung negative Emotionen aus. Sie führen zu Vergeltungsmaßnahmen und zerstören unwiderruflich das Vertrauen zwischen den Verhandlungspartner:innen. Und das langfristig: Jeder, der also an nachhaltigen und lang anhaltenden Beziehungen zu seinen Verhandlungspartner:innen interessiert ist, sollte es vermeiden, einen Ruf als unehrliche bzw. unehrlicher Verhandler:in aufzubauen.

Der richtige Moment für die Wahrheit

Während das tatsächliche Aussprechen unwahrer Tatsachen niemals wirklich empfehlenswert ist, kann es dennoch vorkommen, dass auf den richtigen Moment gewartet werden sollte, zu welchem die Wahrheit dann preisgegeben wird. In manchen Verhandlungsphasen könnten  bestimmte Tatsachen eher hinderlich sein und zum Beispiel einem Fortschritt der Verhandlung im Wege stehen. In vielen Fällen kann es hilfreich sein, nicht die ganze Wahrheit offensiv am Beginn einer Verhandlung preiszugeben, sondern sie in Häppchen aufzuteilen, die dann zu strategisch günstigen Zeitpunkten eingesetzt werden können.

Lügen erkennen und entsprechend reagieren

Angesichts der vielfältigen negativen Auswirkungen von Lügen in Verhandlungen stellt sich die Frage: Was kann man tun, wenn man in Verhandlungen mit Lügen konfrontiert wird?

Die Herausforderung dabei ist, dass es keine definitiven Anzeichen für Lügen gibt. Selbst Methoden wie der Lügendetektor sind nicht fehlerfrei. Das Erkennen von Lügen basierend auf nonverbalen Indikatoren wie Mimik, Gestik und Körpersprache ist schwieriger, als viele annehmen. Eine Studie zeigt, dass nur etwa 54 % der Menschen eine Lüge anhand dieser Indikatoren erkennen können – kaum besser als das Ergebnis eines Münzwurfs.

Vertrauensvolle Verhandlungsumgebung

Viel zielführender als die aktive Vermeidung und die Suche nach Lügen ist es, einen Nährboden des Vertrauens zu schaffen, auf dem Sie Ihrem Gegenüber das Lügen schwer und unattraktiv machen. Verhandlungsführer:innen sind weniger geneigt, auf Täuschungen zu setzen (wie z. B. irreführende Aussagen zu machen oder die Wahrheit zurückzuhalten), wenn sie die andere Partei gut kennen, ihr vertrauen und befürchten, dass die Beziehung durch unehrliches Verhalten Schaden nehmen könnte.

Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit

Wenn Verhandler:innen die Bereitschaft zeigen, Konzessionen zu machen und Informationen zu teilen, wird es wahrscheinlicher, dass die andere Partei ebenfalls entgegenkommt und ein Informationsaustausch stattfindet. Dieses sozialpsychologische Phänomen nennt man auch Reziprozität. Wenn Verhandlungspartner:innen das Gefühl haben, die Gegenseite ist bereit (wahre) Informationen zu teilen, wird vermutlich in gleicher Weise darauf reagiert. So kommen meist bessere Verhandlungsergebnisse zu Stande.

Präzisierungsfrage als Schlüssel

Eine konkrete Tool-Empfehlung aus unserem En GardE Werkzeugkoffer haben wir aber für Sie: Mit der Präzisierungsfrage gelingt es oft, offensichtlichen Lügen und Unwahrheiten auf die Schliche zu kommen. Außerdem erfährt man durch die spezifische und gezielte Art der Fragestellung auch Tatsachen, die entweder bewusst oder unbewusst durch das Gegenüber verschwiegen wurden. Das ist eine der wenigen Möglichkeiten Fakten zu erfahren, die Ihnen Ihr/e Partner:in ansonsten aus Eigeninteressen verschweigt.

Das ist auch durch eine interessante Studie belegt: Wenn Sie jetzt glauben, dass Ihr Gegenüber eine Tatsache, die er verschweigt, auch bei direkter Nachfrage nicht preis gibt, irren Sie: In einer Studie haben die Forscher Schweitzer und Croson festgestellt, dass mehr als die Hälfte der Personen (61%) mit der Wahrheit bei direkter Nachfrage herausrücken, auch wenn diese Information ihre Verhandlungsposition schwächt.

Sind Sie neugierig geworden? In unseren Verhandlungstrainings lernen Sie neben der Präzisierungsfrage noch zahlreiche weitere Tools und Strategien kennen, mit denen Sie Ihre Verhandlungsergebnisse verbessern.